Auch in Deutschland gibt es immer wieder Politiker, die mit ihrer Ausstrahlung die Menschen in ihren Bann ziehen. Vor einigen Jahren zeigte sich dies an der steilen Karriere, aber auch dem tiefen Fall von Karl-Theodor zu Guttenberg. Der FDP-Chef Christian Lindner ist ein weiteres Beispiel für einen charismatischen Politiker, dem auch von Kritikern rhetorische Brillanz attestiert wird. Bis an die Spitze des Staates hat es ein solcher Politiker jedoch bisher nicht geschafft. Dies mag in Deutschland geschichtlich bedingt sein, weil die Menschen sich einerseits nach einem Politiker sehnen, der sie versteht und mitreißt, aber sich gleichzeitig vor den Folgen fürchten, wenn sie auf einen Blender hereinfallen. In anderen Ländern haben es charismatische Politiker hingegen bis ins Amt des Regierungschefs geschafft.
Justin Trudeau, Premierminister und Sunny Boy
Etwas neidisch blickten die Europäer nach Kanada, als dort Justin Trudeau zum Premierminister gewählt wurde. Jung, attraktiv und charismatisch – Attribute, die den meisten Menschen nicht als erstes einfallen, wenn sie an ihre nationalen Politiker denken. Besonders sein erstes Zusammentreffen mit dem ebenfalls frisch gewählten französischen Präsidenten war ein Geschenk für die Medien, die sich über eine anbahnende „Bromance“ zwischen den beiden Staatschefs freuten.
Naturgemäß interessieren sich die europäischen Medien eher für nationale Angelegenheiten als für die Innenpolitik des kanadischen Premiers. Dies führte dazu, dass die Weltöffentlichkeit ihn vor allem durch seine Rolle bei internationalen Gipfeltreffen kennt. Doch vor einigen Wochen erschütterte ein Skandal Kanada, der so hohe Wellen schlug, dass diese bis nach Europa überschwappten. Trudeau wurde Rassismus vorgeworfen, und so musste er bangen, ob er die kurz danach stattfindende Wahl gewinnen würde. Letztlich hat er nicht die absolute Mehrheit errungen, kann aber als Premierminister weitermachen.
Emmanuel Macron: brilliant, aber elitär?
Ganz Europa hielt den Atem an, als die Franzosen vor der Wahl standen. Wollten sie Emmanuel Macron oder doch lieber Marine LePen an der Spitze ihrer Grand Nation wissen? Letztlich entschied sich die Mehrheit für Macron, wenn auch viele Franzosen ihr Kreuz nur zähneknirschend bei ihm machten, um die rechtsextreme LePen zu verhindern. Seitdem verfolgt er voller Elan sein Ziel, Frankreich zu reformieren, stößt jedoch immer wieder auf Widerstand. Er mache Politik für die Reichen ist ein Vorwurf, den er sich regelmäßig gefallen lassen muss. Doch der Protest entzündet sich in Frankreich an seinen konkreten Gesetzesvorhaben, wie aktuell an seiner Rentenreform, die zu einem Generalstreik geführt hat.